- Zum 80. Geburstag
- Musik, die der DDR nicht nützte
- Der große Komponist Paul-Heinz Dittrich wird 80 Jahre
- Peter Uehling, Berliner Zeitung, 04.12.2010
- "Es war das "Ultraschall"-Festival vor bald zwei Jahren, als man sich, müde an Körper und Geist, noch in ein Nachtkonzert mit dem Sonar-Quartett schleppte. Plötzlich wurde man wieder wach und erinnerte sich, was mit Musik einmal gemeint war und was man auf einem solchen Festival immer wieder aus den Ohren verliert. Paul-Heinz Dittrichs 3. Streichquartett dankt man solche Erfahrung, einer Musik von erheblicher Kompliziertheit und dennoch großer Poesie. Sie spannte Räume auf, Landschaften, die das Ohr noch nie erkundet hatte. Und das, obwohl Dittrich die spektakuläre stilistische Geste, das herausstechend Unerhörte verschmäht. Heute wird der Komponist dieser großen Musik 80 Jahre alt. (…)
So hat sich Dittrich in wahrhaft Goetheschem Sinne entwickelt: Von außen angeregt, aber von innen heraus entfaltet. Hier setzt einer nicht selbstherrlich seine Imaginationen ins Werk, sondern hört zu, wägt ab, prüft und findet dann Töne von einer Verbindlichkeit, Schönheit und stilistischen Strenge, die heute ihresgleichen sucht."
- "Zerbrochene Bilder" (1998-1999)
- Das große Klagen
- Stimmakrobatisch: ‚Zerbrochene Bilder' von Paul-Heinz Dittrich in Rheinsberg uraufgeführt
- Eleonore Büning, Frankfurter Allgemeiner Zeitung, 13.06.2001
- "…Die Partitur verlangt weder Bilder noch Requisiten, nur nichts weniger als schier utopisch stimmakrobatisches Frauensolo plus Männerquartett mit Live-Elektronik und Orchester. (…) Die teils falsettierenden Herren, so vielfältig ihre Stimmen auch aufgefächert werden, fungieren im Folgenden als Chor. Sie geben Kommentare und Stichworte ab für den Monolog der Medea, der nicht aus einem Stück, sondern, von instrumentalen Intermezzi unterbrochen, raketenweise in mehreren Stufen abgefeuert wird: ein variiertes Klagelied, von Strophe zu Strophe die Formen, Farben und Affekte wandelnd. Mal spitz, bittend, fordernd, verzweifelt; teils im Dialog mit sich selbst und verfremdeten Stimmen vom Band, teils im virtuosen Streit mit der Soloflöte, mit Posaune oder Cello, tonlos rappend oder die höchsten Register strapazierend oder schreiend oder flüsternd – und am Ende, nach einer molto espressivo auf die Fermate zu jagenden Klimax, verstummend. Dies komplexe Stimmtheater für eine Person stellte hohe Ansprüche an die junge amerikanische Sopranistin Elizabeth Keusch."
- "Klaviermusik VII" (1999-2000) und "Pierre de Coeur" (1997)
- Glanz des Wunders
- Paul-Heinz Dittrich entwickelt unser Ohr – ein Konzert in der Akademie der Künste
- Heinz-Klaus Metzger, Frankfurter Allgemeine Zeitung (Berliner Seiten), 12.04.2001
- "…Die Stellung Dittrichs im widerspruchsvollen Gesamttableau heutiger Kunstmusik lässt sich nicht leicht bündig bestimmen, gerade weil das meiste, was er komponierte, so charakteristisch ist, dass mit mehr oder weniger plausibler Einordnung nichts gewonnen wäre. Es sei also darauf verzichtet, ihn als der Urheber einer "anderen neuen Komplexität" neben Ferneyhough mit einem akkreditierenden Stempel zu versehen. (…) Auch Dittrichs "Klaviermusik VII"(1999-2000), die als würdige Art, mit einem Jahrtausend abzuschließen, aufs höchste geachtet werden muss, fällt durch eine formale Disposition auf, die so wirkt, als wären mehrere Sätze eines extensiven zyklischen Werks zu einem einsätzigen Gebilde verschränkt worden. Technisch exploriert es die Physik des Flügels und die Physiologie des Klavierspielers bis an ihre äußersten Grenzen. Mit einer Aufführung, die meisterhaft gelang, erwies sich Frank Gutschmidt erneut als einer der Großen der kommenden Pianistengeneration.
Die Uraufführung des Abends galt Dittrichs ausgedehntem "Pierre de Coeur" 1997 für eine komplizierte Kammerbesetzung (…) die Durchführung der Idee einer Polyphonie von Polyphonien, ein selten gewagtes Kunststück, das Dittrich jedoch schon mehrmals mit Glück unternahm, stellt das Werk den abenteuerlichsten Hervorbringungen des Barraquéschen Serialismus zur Seite. Ganz anders jedoch ist Dittrichs formale Dramaturgie, originell das Idiom der Musik, einmalig der Gehalt, in dem es um die Bewältigung von Unaussprechlichem geht."
- "Spiel" (1986-1987)
- Vom Hintersinn der Worthülsen
- Paul-Heinz Dittrichs ‚Spiel' nach Beckett uraufgeführt
- Gerald Felber, Berliner Zeitung, 19.11.1987
- "…Die Musik verhält sich dabei nach meinem Empfinden nicht in erster Linie kommentierend zu den Spielvorgängen. Vielmehr geht sie in jene Tiefenschichten, die das Wort durchscheinen lässt, ohne sie zu verbalisieren; Ängste, Verklemmungen und Frustrationen werden sprechend – jene latente Emotionalität, die im Sprach-Spiel verdrängt werden soll, und gerade dadurch ihre ständige Präsenz erweist. Liegt solches vor allem im instrumentalen Bereich – drei Klarinetten, drei Celli und Schlagwerk – so schärft die vokale Ebene durch verquere Intervallik, Glissando-Effekte, heftig akzentuierte rhythmische Überlagerungen und ein reichhaltiges Repertoire sprachlich-gesanglicher Übergänge die Absurdität des Vorgeführten."
- "Etym" (1981-1982)
- Jahrtausende stark gerafft
- Drei neue Kompositionen in der WDR-Reihe Musik der Zeit
- Paul Krüger, Kölnische Rundschau, 14.10.1985
- "…Dittrich, der als freischaffender Komponist in der DDR lebt, beherrscht das Handwerk der Instrumentation glänzend.In seinem 1982/83 entstandenen Stück "Etym" fährt er diese Fähigkeiten geradezu sechsspännig aus, macht einen Riesen-Orchesterapparat zur Spielweise der Instrumentation: mit einer furiosen Orchestersprache, die immer neue frappierende Effekte erreicht, andererseits aber einen reinen Streicherakkord zum Erlebnis werden läßt.
Fraglich ist es ein fragwürdiges Unterfangen. Sprache in Musik umzusetzen. Für "Etym" ("Keimwort") war es Arno Schmidts Roman "Zettels Traum", dessen erste Schritte Dittrich als Vorlage benutzte. Wieweit die Umsetzung gelang, ist kaum zu beurteilen. Auf jeden Fall ist eines gelungen: einen Orchesterapparat in seiner ganzen Palette zwischen berstenden Explosiv-Lauten des Tutti und kammermusikalischen Episoden organisch zu halten."
- "Engführung" (1979-1981)
- Maestro Computer gibt ein Marionetten-Konzert
- Zum sechzigsten Mal spielte die Avantgarde auf
- Detlev Gojowy, Rheinischer Merkur, 23.10.1981
- "…weitere Ereignisse wären zu nennen. Zunächst im Eröffnungskonzert: "Engführung" des 1930 geborenen DDR-Komponisten Paul-Heinz Dittrich nach dem gleichnamigen Gedicht von Paul Celan, als Kompositionsauftrag des Südwestfunks. (…)Dittrich sprach in der anknüpfenden Publikumsdiskussion vom "Zerbrechen der menschlichen Stimme" und von einem "Sinfonischen Psalm", als den er die Form des Stückes sieht: für mich die gewichtigste unter den Uraufführungen des Festivals."
- "Konzert für Violoncello" (1974-1975)
- Das überragende Ereignis
- G. A. Trumpff, Hessische Allgemeine Kassel, 27.10.1976
- "…Das überragende Ereignis der Musiktage war das Konzert für Violoncello, Streiquartett und Orchester von Paul-Heinz Dittrich(36). Auch hier gehen die Impulse vom Solisten (Martin Ostertag) aus, zündende Themen werden dynamisch und melodisch geweitet, mit geschlagenen Rhythmen auf das Instrument geschärft, dann von Quartett und in Orchester phantasievoll und unmittelbar ansprechend angereichert. Begeisterter Applaus für den DDR-Komponisten, den vorzüglichen Solisten, das Orchester des Südwestfunks unter Ernest Bour."
- "Konzert für Violoncello" (1974-1975)
- Vielfältig und ertragreich
- Ausklang der II. DDR-Musiktage in unserer Hauptstadt
- Hans-Peter Müller, Berliner Zeitung, 03.03.1976
- "…Dittrichs Beitrag gehört sicherlich zu den bemerkenswertesten musikalischen Neuschöpfungen aus letzter Zeit. Der Komponist, mehrmals mit unterschiedlich gelungenen elektronischen Experimentalstücken hervorgetreten, setzt hier ein ganz normales Orchester(allerdings aufgeteilt in ein Tutti von drei Gruppen sowie ein Streichquartett) ein und lässt es abwechslungsreich, farbig und spannungsvoll mit dem Soloinstrument musizieren. Die Dramaturgie reicht von dem alle spieltechnischen Raffinessen einsetzenden Solocello-Beginn, der den drastischen Effekt nicht scheut, bis zum immer ruhiger, verhaltener, lyrisch-nachdenklich und zarter werdenden solistischen Schluss."
- "Areae sonantes" (1972-1973)
- Donaueschinger Musiktage
- Wolfram Schwinger, Stuttgarter Zeitung, 23.10.1973
- "…Bleibt noch die dritte Orchester-Uraufführung zu erwähnen, die ‚Areae sonantes" des Ostberliner Komponisten Paul-Heinz Dittrich, der nur sein Stück schicken konnte, aber nicht selbst nach Donaueschingen kommen durfte. Wohl muss man berücksichtigen, dass dieses Stück in der DDR komponiert wurde, doch ohne dies im Geringsten als Entschuldigung anzuführen; denn zu entschuldigen gibt es nichts. Dittrich ist mit allen, auch den westlichen Praktiken der neuesten Musikentwicklungen bestens vertraut, benutzt sie, ohne billig zu imitieren – mögen die Klang- und Lautverschmelzungen zu einer "phonetisch-instrumentalen Poesie" (wie er sie nennt) auch keineswegs neu sein, denken wir nur an Schnebel, ebenso wenig die Klangflächen aus Mikrostrukturen, die seit Ligeti "Allgemeingut" geworden sind. Aber Dittrich geht virtuos damit um, gliedert formal sehr einleuchtend und erreicht in der Gegenüberstellung von je drei Instrumental- und Vokalsolisten (Posaune, Oboe, Cello und Frauenstimmen) zum Orchester diffizile Wirkungen, am eindrucksvollsten tatsächlich da, wo sie "poetisch" sind – etwa in der still verklingenden Kadenz."
- "qua-sie" (1971)
- Zusammenklänge im Raum
- Gerhard R. Koch, Frankfurter Allgemeiner Zeitung, 03.10.1973
- "…Der DDR-Komponist Paul-Heinz Dittrich gehört seit gut zwei Jahren zu den international gefragten Stückeschreibern. Er hat sich über manche Reglementierungen hinwegsetzen können und die Ideen und Techniken der westlichen Avantgarde aufgegriffen und verarbeitet. Die Situation eines Wandlers zwischen zwei Welten zeichnet sich denn auch bei ihm ab. Sein ‚phonetisch-instrumentales Exerzitium' ‚qua-sie' erwies sich auch diesmal wieder als ein bedenkenswerter Beitrag zu den gegenwärtigen Versuchen, Musik und Sprache sich gegenseitig durchdringen zu lassen."
- "Schlagzeilen" (1971)
- Komponisten aus aller Welt trafen sich in Boswil
- 2. Internationales Komponistenseminar der Stiftung Alte Kirche Boswil
- Gerold Fierz, Badener Tagblatt, von 05.05.1972
- "…Paul-Heinz Dittrichs "Schlagzeilen" für zwei Pianisten, Schlagzeuger, Tonband und Mikrophone etwa erlebte man als ein unerhört konzises, kraftvolles, aber auch poetisches Werk, das nicht nur die perkussiven Mittel konsequent und wirkungsvoll anwendet, sondern auch eher lyrische, mindestens ephemere Möglichkeiten der gebrauchten Instrumente sinnvoll einbezieht. (Dieses Werk wurde mit dem Hauptpreis der Jury ausgezeichnet.)"